»Problemkomponisten sind ein geselliges Völkchen«


Frank Richter bei der 30. Deutschen Lösemeisterschaft in Rosengarten-Sottorf Der am 17.03.1966 in Rostock geborene und heute in dem weltweit bekannten Dorf Trinwillershagen (in der Nähe der Hansestadt Stralsund) lebende Frank Richter ist ein begeisterter Problemschachfreund. Er ist Mitglied der Schwalbe, die deutsche Vereinigung für Problemschach.
Sein Problemschacheinstieg liegt bereits 25 Jahre zurück, es begann im November 1981. Derzeit fungiert er als deutscher Mannschaftsleiter für das 8. Weltkompositionsturnier.
Frank Richter ist seit Ende 1996 Herausgeber der Zeitschrift harmonie (einer Zeitschrift für Problemschach), die viermal im Jahr erscheint.


Das Fotos entstand bei der 30. Deutschen Lösemeisterschaft in Rosengarten-Sottorf; Quelle: http://www.selivanov.ru/novosti/fotogalerei/sottorf/

Er hat dem Webmaster des Landesschachverbandes, Gerd Zentgraf, Rede und Antwort gestanden.

Zunächst möchte ich mich bei Dir bedanken, dass Du mir die Möglichkeit gibst, einige Fragen zum Thema Problemschach loszuwerden. Dir ist ja bekannt, welchen Imageschaden das Problemschach in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2005 genommen hat. Aus meiner Sicht ist es Zeit, das Kapitel »Problemschach« speziell in Mecklenburg-Vorpommern wieder ins rechte Licht zu rücken. Vielleicht gelingt es Dir, das Thema dem Leser etwas näher zu bringen und zu zeigen, das Problemschach durchaus eine ernst zu nehmende Sache ist. Hier das Interview:

eine Frage ...  Was muss man sich unter Problemschach vorstellen?

Problemschach und Partieschach haben die gleichen Wurzeln und nutzen das gleiche Grundmaterial, damit erschöpfen sich aber auch schon die Gemeinsamkeiten. Im Partieschach geht es um die Auseinandersetzung auf dem Schachbrett zwischen Mensch und Mensch oder auch zwischen Mensch und Maschine. Im Problemschach geht es darum, den Inhalt und die Geheimnisse einer erdachten Position aufzuspüren und sich damit intellektuelle Spannung und Freude zu verschaffen. Häufig trifft man auch die Bezeichnung "Kunstschach", die den ästhetischen Anspruch der Problemautoren unterstreicht.


eine Frage ...  Worum geht es da genau?

Gegenstand des Problemschachs ganz allgemein sind Schachprobleme, auch Kompositionen genannt. Ein Schachproblem ist eine erdachte Position auf dem Schachbrett mit einer exakten Forderung. Die Art und Weise, wie diese Forderung zu erfüllen ist (die Lösung), ist dabei von dem oder auch den Autoren bis zum letzten Zug vorhergedacht.
Salopp gesagt werden also Schachrätsel gestellt. Im heutigen Problemschach spielt allerdings die Schwierigkeit einer Lösung eine untergeordnete Rolle, der Inhalt einer Komposition muss vielen Kriterien genügen, z.B. Originalität, Ökonomie und Themenreichtum.


eine Frage ...  Gibt es im Problemschach mehrere Disziplinen?

Mit Problemschach kann man sich sowohl als Löser als auch als Autor beschäftigen. Löser finden in vielen Problemzeitschriften und auch noch in Schach- und Tageszeitungen eine reichhaltige Auswahl an abgedruckten Kompositionen, zu denen in der Regel halb- oder auch jährliche Löserwettbewerbe ausgeschrieben sind. Zum Lösen von Schachproblemen gibt es auch nationale und internationale Einzel- und Mannschaftsmeisterschaften, deren Ergebnisse in einer halbjährlich aktualisierten Ratingliste zusammengefasst werden. Gerade Anfang August fand die 30. Mannschaftslöseweltmeisterschaft statt, zumindest zwei Namen der siegreichen britischen Mannschaft dürften auch Partiespielern bekannt sein: J. Nunn, J. Mestel, C. McNab. Mehr Infos bekommt man unter www.geocities.com/solvingchess/.
Die Schachaufgaben selbst werden zunächst nach ihrer Forderung in verschiedene Gruppen eingeteilt: Probleme mit "normalem" Spielziel heißen orthodoxe Aufgaben. Hier gibt es direkte Matts (Weiß zieht und setzt den Schwarzen in 2, 3 oder n Zügen matt) und Studien (Weiß gewinnt oder hält Remis). Vor vielen Jahrzehnten schon hatten findige Komponisten die Idee, das Spielziel umzukehren, so entstand das Selbstmatt (Weiß zieht und zwingt den Schwarzen, Weiß mattzusetzen).
Eine weitere Variante ist das Hilfsmatt, hier kooperieren Weiß und Schwarz mit dem Ziel, den schwarzen König in der vorgegebenen Zügezahl mattzusetzen. Ein weiteres eigenständiges Problemschachgebiet ist die Retroanalyse, bei der aus vorgegebenen Positionen versucht werden muss, die vorangegangenen Züge abzuleiten.
Die vom Partieschach bekannten gewöhnlichen Bretter, Regeln und Figuren werden im Märchenschach stark verändert und erweitert. So gibt es Aufgaben mit ringförmigen Brettern, mit speziellen Bedingungen, Forderungen oder exotischen Steinen (z.B. Hüpfern).
Märchenschachaufgaben können sehr interessante Effekte zeigen, an das normale Schachspiel erinnern dabei aber oft nur noch die schwarz-weiß-karierten Felder ...
Unabhängig vom Genre wetteifern auch die Problemautoren in Turnieren um Siegplätze. Auch hier gibt es Einzel- und Mannschaftsweltmeisterschaften sowie internationale Titel, die von der Ständigen Problemkommission der FIDE vergeben werden (www.sci.fi/~stniekat/pccc/).


eine Frage ...  Wie realitätsnah sind die Lösungen zu tatsächlichen Stellungen zu Wettkampfpartien?

Da das Problemschach sind aus dem Bedürfnis heraus entwickelt hat, gerade die dem Schachmaterial innewohnenden Möglickeiten zu erforschen, die in einer Partie quasi gar nicht auftauchen, stehen sowohl die Positionen als auch die Lösungen von Schachaufgaben in keiner realen Beziehung zum Partieschach. Das schließt natürlich nicht aus, dass das eine oder andere Problemmotiv auch einmal in einer Partie auftaucht (z.B. die Verstellung von Turm und Läufer auf deren Schnittpunkt - ein sogenannter Nowotny).


eine Frage ...  Welche Besonderheiten (Anzahl von Figuren einer Farbe) gibt es bei den Aufgaben?

Formale Anforderungen an eine Schachaufgabe regelt ein Kodex. Die wichtigsten davon sind:
Ein wichtiger Punkt ist ausserdem, dass alle auf dem Brett stehenden Figuren für die Lösung auch benötigt werde. Das Vorhandensein nicht genutzer Steine (Nachtwächter) ist formal möglich, aber stellt einen schweren Mangel dar, den jeder Komponist vermeiden sollte.


eine Frage ...  Wie kann man das Lösen von Problemschachaufgaben erlernen?

Da gibt es keine Unterschiede zu anderen Tätigkeiten: Einfach versuchen, Literatur (Aufgaben mit deren Lösungen) studieren, üben, üben, üben ...
Mit der Zeit entwickelt sich dann eine gewisse Routine, die es ermöglicht, anhand der Konstruktionsmerkmale der Position recht schnell die gewollte Lösung zu finden.


eine Frage ...  Wie geht man an die Erstellung von Problemaufgaben heran?

Da kann ich die Antwort der vorigen Frage wiederholen. Und man sollte keine Scheu davor haben, bei eigenen Versuchen bekannte Komponisten zu kontaktieren und deren Rat einzuholen. Jeder hat mal angefangen ...
Ansonsten lässt sich der Entstehungsprozess einer Aufgabe schwer erklären. Mitunter arbeitet man anhand eines vorgegebenen Themas, in anderen Fällen ist es nur ein Gedanke oder ein Mechanismus, der dann durch viele Versuche in eine ansprechende Form gebracht wird.


eine Frage ...  Was kann man eigentlich trainieren?

Das Lösen von Aufgaben kann man ohne Zweifel trainieren. Auf diese Weise hat beispielsweise der amtierende Weltranglistenerste Piotr Murdzia in den letzten Jahren ein beeindruckendes Löseniveau erreicht, welches er auch anderen Interessenten vermittelt (www.murdzia.republika.pl/).
Das Komponieren von Aufgaben kann man schwer trainieren, lediglich eine gewisse Routine lässt sich erarbeiten.


eine Frage ...  Sind Problemschachspieler Einzelkämpfer?

Problemschach lässt sich als Einzelperson betreiben, aber wer mag schon immer im stillen Kämmerlein hocken? Problemkomponisten sind deshalb ein geselliges Völkchen, sie treffen sich regelmässig zu verschiedenen Anlässen und bei diesen Gelegenheiten entstehen häufig Gemeinschaftskompositionen.


(Fotsetzung folgt ...)

Teil 2 des Interviews